03.09.2011 - 24.09.2011
Cay-Robert Malchartzeck
cmalchartzeck@t-online.de
> Törn Southampton - Lissabon
9. September: Yarmouth - Brixham
“Katia” heisst also das nächste kräftige Sturmtief - ein ehemaliger Hurrikan, der vor den USA abgebogen ist
und in Windeseile über die britischen Inseln herfällt. 24 Stunden haben wir Zeit, bis Katia eintrifft, und die
wollen wir nutzen.Vor den Tiefs entsteht meist eine relativ umgängliche Windströmung, und der Wellengang
wird sich hoffentlich so weit beruhigen, dass wir in Richtung Atlantik zumindest ein Stück vorankommen.
Bis Camaret würden wir es vor Katia nicht schaffen, Alderney wäre angesichts der Windprognosen zu
ungünstig. Also fahren wir weiter an der englischen Küste entlang, bis Dartmouth sollte die Zeit reichen.
Im Hafen wollen auch andere die Gelegenheit zur Weiterfahrt nutzen, man wünscht sich einen “good Trip”,
und ab gehts in die Morgenflut.
An den Klippenkanten der “Needles”, die den Ausgang des Solent markieren, bilden sich imposante
Nebelzüge, die in dichten weissen Schwaden über die Buckel ziehen. Rau ist die Dünung immer noch
draussen, aber wir laufen immerhin 5 Knoten - leider nur unter Motor, denn der Wind kommt nicht nur von
vorn, sondern auch schwach. “Lots of rolling”, wie ein Engländer in Yarmouth sagte. Der Wetterreferent
macht den Fehler, eMails zu schreiben, und prompt wird ihm plümerant. Dem technischen Referenten und
dem Bauern allerdings auch ohne eMails. Nur der Skipper merkt nix. Der Autopilot steuert, einer hält oben
Wache, einer guckt auf die Instrumente, die anderen können sich aufs Ohr hauen. Mittags zieht Nebel auf,
da wird unser AIS zu einem hilffreichen Instrument: Das UKW-Ortungssystem zeigt uns die Schiffe in der
Nähe samt Namen, Kurs und Geschwindigkeit. (Auf deren Monitore erscheinen natürlich auch wir.)
Gefährlich nah kommt uns keins. So verfliegen die Stunden damit, in den Nebel zu starren.
Am frühen Abend bläst der auffrischende Wind den Nebel weg, dafür wird’s dunkel. Auch wenn’s nur die
Positionslichter der Schiffe sind: Man sieht sie gut. Der Mond scheint, wunderbar. Gegen 23:00 Uhr
erreichen wir den Hafen Brixham, früher als erwartet. Die Ansteuerungslichter sind ein bißchen mickerig,
aber wir finden eine freie Boje, an der wir über Nacht über bleiben können. Hier riecht’s. Der
Wetterreferent, ein Fischliebhaber ersten Ranges, ist entzückt und schafft Aufklärung: Laut Wikipedia gibt
es in Brixham einen lebendigen Fischereihafen. Er liegt genau in Windrichtung.
10. September: Erster Hafentag in Brixham
Wir verholen an den “Visitor”-Steg und gehen zum Büro des Hafenmeisters. Die Marina ist knüppelvoll,
aber wir können da bleiben, wo wir sind. Strom haben wir da nicht, ist aber auch nicht schlimm, weil die
Nono autark ist: Sie hat eine Windturbine und einen Stromgenerator. Die beiden Herren im Büro sind
äusserst nett und können sich einen kleinen Scherz nicht verkneifen: “Ihr seid doch die Jungs, die heute
nacht da draussen an einer Boje festgemacht haben? Wir haben euch natürlich gesehen. Ihr habt eine
Übernachtungsbühr gespart, oder?” Wer Liegegebühren in dieser Höhe nimmt, der muss solche Witze
machen. Das ist unser bislang teuerster Hafen. Aber dafür können wir umsonst heiss duschen, solange wir
wollen, und Wäsche waschen, der aktuelle Wetterbericht liegt gedruckt zum Mitnehmen aus, und eine
Lounge mit Fernseher und Internetcomputer gibt’s auch. Alles inklusive. So rum ist es wieder okay.
Erkundung Brixham. Neben dem Yachthafen liegt der alte Naturhafen, um den herum sich die Stadt über
die Jahrhunderte gebildet hat. Die Boote liegen trocken, wir haben Ebbe. Die Hafenpromenade ist die
Touristenmeile der Stadt, mit Cafés, Pubs, Fischbüdchen, Ständen mit Tand und Andenken,
Süssigkeitenläden und einem original nachgebauten Schiff von Sir Francis Drake. Es wirkt ein bißchen wie
ein Badeort aus der Kindheit, irgendwie auch rührend. Die Seemannsmission veranstaltet am
Fischereihafen ein Fest, eine kostümierte Gruppe führt einen Volkstanz vor. Wir gehen die Treppen hoch in
die Viertel, die sich die steilen Hänge hochziehen. Sie erinnern ein bißchen an ein proletarisches
Blankenese. In Brixham haben nicht nur die Villen “Protz & Ballermann”, sondern auch viele der schmalen
bescheidenen Reihenhäuser einen grandiosen Meerblick, oder zumindest das Hafenpanorama unter dem
Küchenfenster. In der Kirche dürfen wir noch die üppige Dekoration eines Seefahrtsfestes besichtigen, das
grade stattgefunden hat: Auf alle Kirchenbänke sind mit Motiven und Versen bestickte Kissen gelegt,
liebevoll gestaltete dreidimensionale Szenen aus der Schiffahrt stehen an den Gängen, eine ist komplett
aus Zucker (!) hergestellt. Schiffsmodelle, von Kindern gemalte Bilder und viele Fahnen mit guten
Wünschen für die Seeleute und Fischer zeigen, dass die Verbundenheit mit dem Meer und der Respekt vor
seinen Naturgewalten hier immer noch stark verankert sind. Am Altar lehnt ein Steuerrad. Für das Konzert
der “Fisherman’s Friends”, das heute abend in der Kirche stattfinden soll, bekommen wir leider keine
Karten mehr. Schade.
Ein sympathischer Ort, finden wir. Allerdings mit einem schmierigen kosmetischen Problem: Möwen. Sie
kacken alles voll. Boote, Stege, Lampen, Mauern - einfach alles. Muss man so hinnehmen.
Abends bekommt unser Boot noch ein paar Festmacherleinen mehr. Katia bläst schon tüchtig und drückt
die Nono in die Schräge. Wir möchten die Belastung auf mehrere Klampen und Winschen verteilen. Der
Regen prasselt, uns tut die Seemannsmission mit ihrem Fischfest leid, da müssen sie jetzt einpacken. Auf
der Nono wird erstmal Skat gespielt.
Törnbericht Southampton - Lissabon
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