03.09.2011 - 24.09.2011
Cay-Robert Malchartzeck
cmalchartzeck@t-online.de
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Törnbericht Southampton - Lissabon
Seite 5
14. September: Jetzt aber rüber
Im Morgengrauen legen wir ab, adjüs England, adjüs Kackwetter. Wir wollen und müssen die gute
Wetterlage in der Biscaya nutzen, die sich in den nächsten Tagen bilden wird. Wie sagt Bauer
Manfred: “Heu mäht man ins gute Wetter rein.” Der Kulturschaffende opfert Rasmus einen schönen
Schluck.
Wir wussten ja, dass Sturmtief Katia einiges an Wind und Wellen hinterlassen hat - aber so viel
noch? Es kachelt direkt von vorn, wir müssen erstmal einen südlichen Kurs fahren, um mit dem
stampfenden Boot überhaupt Fahrt zu machen. Englische Delphine verabschieden uns. Oder
machen sie sich über uns lustig? Im Ärmelkanal nimmt das Gebolze noch zu, und dann müssen wir
noch auf den regen Schiffsverkehr aufpassen. Der Kanal ist die meistbefahrenste Schiffahrtstrasse
der Welt, die grossen Dampfer kommen im Viertelstundentakt. Mit Gischtfontänen am Bug, die
über das ganze Vorschiff gehen. Der ablaufende Strom erzeugt gegen den Wind prächtige 4 Meter
hohe Hackewellen, wir fahren Achterbahn. Sämtlichen Referenten wird übel, nur der Skipper ist
völlig unbeeindruckt, er hat eine Art Edelstahlmagen. Fürsorglich holt er von unten alles, was die
Referenten verlangen, sie möchten um keinen Preis unter Deck. Der Wetterreferent überlässt sein
am Morgen verzehrtes Leberwurstbrötchen den Fischen und flüchtet in die Koje.
15. September: Wundervolle Biscaya
Als wir Brest passieren, beruhigt sich die Lage. Der Wind kommt mehr westlich, die steilen Wellen
werden zu einer zwar immer noch hohen, aber auch weiten Dünung. Olaf wird auf seiner
Nachtwache von Delphinen begrüsst, sie spielen um die “Nono” herum und ziehen dabei
leuchtende Schleppen aus Phosphortierchen hinter sich her.
Der Tag bringt prächtiges Segelwetter. Und noch mehr Delphine begleiten das Boot, zwanzig,
dreissig oder mehr. Sogar ein Baby ist dabei. Sie beäugen uns, springen, zeigen uns ihren weissen
Bauch, kekkern, machen Kunststückchen. Und wenn sie mal nicht zu sehen sind, pfeift ihnen Olaf
ein Liedchen, dann sind sie wieder da. Wir sind glücklich.
16. September: Begehrte Nachtwachen
Wolken ziehen den Himmel zu, aber selbst das wird zu einem Schauspiel. Grautöne in allen
Schattierungen und Farben, Übergänge und Kontraste wie gemalt. Wir fahren durch Bilder. Und
auch so weit draussen gibt es eine grosse Zahl Seevögel, die meisten Einzelgänger. Immer wieder
umkreist einer das Boot und schaut sich an, was da vor sich geht.
Der Skipper legt die Schleppangel aus - und es beisst sogar ein Fisch an. Allerdings ein so grosser,
dass es nicht gelingt, ihn an Bord zu ziehen. Er reisst sich wieder los.
Eigentlich haben wir uns in Wachen eingeteilt. Aber alle mögen die einsamen Nächte an Deck. Der
Mond lässt die See glitzern und leuchten, der Nachtwind ist wärmer geworden. Es ist ein ganz
besonderes, berührendes Gefühl, unter dem Sternenhimmel über’s Meer zu fahren. So kommt es,
dass Crewmitglieder sich aus dem Schlafsack schälen und an Deck zur Ablösung kommen, dann
aber wieder in die Koje geschickt werden: “Ich mach noch weiter, geh wieder schlafen.”
Manchmal sieht man Lichter anderer Schiffe: Fischer, Segler (mit uns zusammen haben zwei
andere die Überfahrt in Angriff genommen), und natürlich die grossen Frachtschiffe, die auf der
Schiffahrtsstrasse westlich von uns fahren. Die “Kalina” schickt uns per AIS einen netten Gruss:
“Have a good trip!” Später sehen wir im Internet, dass die “Kalina” eines dieser Mega-
Containerschiffe ist, mit mehr als 330 Metern Länge. Da oben auf der Brücke fühlte sich uns
jemand verbunden.
17. September: Spanien in Sicht
Im Morgengrauen taucht die spanische Küste auf. Wir haben die Biscaya-Überfahrt schon fast
hinter uns. Gemischte Gefühle: Erleichterung einerseits, Bedauern andererseits. Wie schön die
Bisacaya war! Und wieder begrüssen uns Delphine.
Der Skipper ist empört über die seiner Meinung nach zu kühler Witterung, es sei das erste Mal,
dass er mit einer Pudelmütze auf dem Kopf in Spanien einreisen müsse. Die anderen finden das
Wetter gemütlich. Aber alle freuen sich auf eine heisse Dusche.
Die bekommen wir abends nach dem Anlegen in Porto Sin. Und ein schönes Fischessen im
Hafenrestaurant.
18. September: Angeblich Flaute...
In Porto Sin kommt Tanja, die Lebensgefährtin des Skippers, an Bord. Sie wird bis Lissabon
mitfahren. Alle wollen segeln. Auf einen Landausgleich hat keiner so recht Lust, obwohl doch
Santiago di Compostella in erreichbarer Nähe liegt. Und der Kulturschaffende, der eigentlich in das
Museum für Moderne Kunst wollte, muss verblüfft feststellen, dass es ihn wieder auf’s Wasser
zieht, nach dem Motto “Was soll der Seemann an Land denn gehen, wenn er kann das Land vom
Wasser aus sehen.” Das sind die Nachwirkungen der traumhaften Biscayafahrt.
Zuerst machen sich alle lustig: Strahlender Sonnenschein und Nordwind mit 3 Windstärken? Das
wird ja eine Kaffeefahrt, höhö. Von wegen. Nachmittags haben wir mindestens 7 Windstärken. Die
dicke schwere “Nono” rauscht mit respektablen 8 bis 9 Knoten über eine immer höhere See. Auf
Rufweite passieren wir die unter Naturschutz stehenden Inseln Cies und Ons am Eingang der
Bucht von Vigo. Eigentlich wollten wir da ankern, aber dann lesen wir, dass das nur mit amtlicher
Genehmigung geht. Und die haben wir nicht.
Also übernachten wir in Baiona. Wie in Porto Sin erwartet uns ein Hafenmeister schon am Steg
und winkt uns zu einem freien Platz. Prompt lässt der Wind nach. Rasmus treibt seine Spielchen
mit uns.